06 Nov Symposium 2024: Von Denkmälern und Widerstand – die unsichtbare Seite der Geschichte
Ich fühle mich ertappt. Wie kann es sein, dass ich auf die Frage, die Kodjo Valentin Gläser an uns richtet, die Antwort nicht kenne? ‘ai,ai,ai…. ist mir schon ein wenig unangenehm’, denke ich mir. Dabei würde ich von mir behaupten, dass ich mich ziemlich gut mit Kolonialgeschichte auskenne, in meiner Arroganz hätte ich mit meinem frisch bestandenen Master in “interkulturellen Studien” ja sogar behauptet ich wäre eine Art Expertin in dem Bereich. “Ich gebe euch noch einen Moment Zeit, vielleicht fällt euch ja was ein”, sagt Kodjo Valentin Gläser, Referent des Vortrags. Aber der Saal bleibt still. Keiner kennt den Mann, dessen Gesicht groß über die Leinwand projiziert wird. Und genau darauf will Gläser hinaus: Das keiner der Menschen im Publikum, Menschen, die in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert wurden, zur Schule gegangen sind und dort über Geschichte gelernt haben, dass niemand dieser Leute den Namen kennt, den Gläser gleich auflöst: Es ist Songea Mbano. Da fällt bei mir der Groschen. Ich weiß, worum es geht, wessen Gesicht schmerzverzerrt in 2×3 Metern Größe im Saal des Kulturzentrum Jenfelds auf uns blickt. Ich fühle mich fein raus, weil ich ja eigentlich doch ziemlich schlau bin. Aber könnte ich nun genau sagen, wer dieser Mensch ist? Warum er so zentral für Gläsers Vortrag über “Tansania und der Widerstand… -eine Frage der Perspektive.” ist? Und vor allem: was das mit Postkolonialem Denken zu tun hat?
Wir spulen nochmal kurz zum Anfang zurück, zum Morgen dieses 13. Oktober. Es ist Sonntag, das Wetter durchwachsen, 13 Grad, sagt die Wetterapp. “Aber zum Glück wärmer als letztes Jahr!” scherzen Flower Manase, Leiterin des Nationalmuseums in Dar es Salaam und ich, während wir in der Wilsonstraße 64 warten. Letztes Jahr standen wir schonmal hier, haben uns mit Regencapes vor dem Hamburger schlecht Wetter geschützt. Manches hat sich in Jenfeld seitdem verändert, vieles ist gleichgeblieben. Wir sind heute hier, um darüber zu sprechen; mit Nachbar*innen aus Jenfeld, mit Expert*innen aus Hamburg und Dar es Salaam. Wollen den Park, vor dessen Türen wir heute stehen, mit anderen Augen sehen,.
Zunächst mit einem Rundgang in dem Marc Agten, Bildungsvermittler aus Hamburg, über die versteckten Ideologien im sogenannten Tansania Park spricht. Und auch wenn es so scheint, als wäre es offensichtlich, dass Denkmäler, die von Nationalsozialisten gebaut wurden, rassistische Mythen verbreiten, müssen wir trotzdem genauer hinschauen, um zu verstehen, was hier versteckt liegt. Marc Agten spricht von einer “Schicksalsgemeinschaft”, die durch die Denkmäler konstruiert wird. Von einem Mythos, der sich um die Denkmäler rankt, der eines “Treuen Askari”, aber auch von rassistischen Ideologien der Nazis, die die Vorstellungen des Kolonialismus aufgegriffen haben. Worte, die viele Teilnehmer*innen des Rundgangs noch nie gehört haben, mit denen viele nichts anfangen können, die sich aber trotzdem Mühe geben zu folgen. “Wir kommen aus der Jenfelder Au, die liegt ja hier ganz dicht nebenan und wir wollten schon so lange Mal zu einer eurer Veranstaltungen kommen. Jetzt haben wir es endlich geschafft!” wird später ein junges Paar zu mir sagen, nach dem der Rundgang beendet ist.
Dann kommt die Sonne raus, der Regen hört auf und Flower Manase fängt an zu sprechen. Sie will kein Mikrofon, lieber direkt mit der Gruppe reden und aus ihrer persönlichen Perspektive sprechen. Nicht als Kuratorin, Doktorantin oder Leiterin des Nationalmuseums scheint Sie da zu stehen, sondern als Aktivistin, als Mensch mit langjähriger Erfahrung im Kampf für eine Postkoloniale Erinnerungskultur. Sie richtet den Blick auf die Frage, für wen und aus welchem Interesse diese Denkmäler geschaffen wurden. Und der Zeitpunkt für Reflektion ist jetzt. Dass sich die Nachbarschaft sich dieser Debatte annimmt und mitbestimmt, welchen Park sie sich jetzt und für die Zukunft wünschen, darüber spricht Manase. Dafür braucht es Selbstreflektion, sowohl auf einer persönlichen Ebene als auch Familienhistorischen, so Manase, die nicht nur in den Schulen stattfindet. Und auch die Perspektive tansanischer Communities ist elementar, ein Weg dafür ist multilinguistische Herangehensweise, auf Deutsch, Englisch und Kiswahili, um gemeinsam zu sprechen und zu arbeiten an der neuen Geschichte zum Park. Was braucht es dafür noch, fragt man sich an dieser Stelle. Dafür hat Manase eine Antwort: Wir brauchen einen Safe Space für eine kritische Reflektion für alle. Organisiert auf Community-Ebene, also Menschen, die nicht der Regierung oder einer Institution angehören, sondern Nachbar*innen und Gemeinschaften. Perspektiven und Biografien müssen sichtbar gemacht werden, die bisher unsichtbar blieben, wie der Askaris oder Träger, die auf dem Denkmal zu sehen sind. Manase spricht ruhig und besonnen, legt gleichzeitig behutsam den Blick auf das was immer noch fehlt, wenn wir über den Park sprechen. Gibt einen Appell zu Weiterarbeit und motiviert. Gleichzeitig wird deutlich: einfach nur den Park neu zu gestalten, ist nicht die Lösung, zumindest ist es das, was ich aus ihrem Gespräch ziehe. Vielmehr ist der Weg dahin das, was wir berücksichtigen müssen. Wer ist Teil des Gesprächs und wer wird außenvorgelassen.
Zurück zum Vortrag vom Anfang von Kodjo Gläser. Jetzt, knapp 3 Wochen später, muss ich trotzdem kurz googlen, wenn ich die Biografie von Songea Mbano wiedergeben will: Widerstandskämpfer gegen die Deutsche Fremdherrschaft, MajiMaji Krieg und Genozid durch die koloniale Macht. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich vor meiner Arbeit an diesem Projekt nie was davon wusste. Und genau deshalb spricht Kodjo Valentin Gläser hier in Jenfeld über einen diesen Befreiungskrieg, der eine zentrale Rolle in der tansanischen Erinnerungskultur spielt, im deutschen kollektiven Gedächtnis aber kaum Beachtung findet. Um die Perspektiven und Narrative der Einseitigkeit, die wir seit Generationen in Deutschland pflegen, aufzubrechen und zu erweitern. Heute um einen Widerstand, der zeigt: Auch wenn wir sie nicht kennen, gibt es viele Geschichten und Biografien von Held*innen in einem Kampf, dessen Brutalitäten ich mir nicht ausmalen kann und um die bis heute um Anerkennung gerungen wird. Zu lernen heißt zu sehen und für Gleichheit zu stehen, offen und neugierig zu sein und für mich als weiße, Deutsche vor allem, anderen den Raum zu schaffen, mich zurückzustecken und eines Besseren belehren zu lassen.
Der Infotag neigt sich dem Ende. Einige haben das Programm von morgens bis abends begleitet, andere kamen für die Workshops “Privilegiencheck – Welche Rolle kann ich für ein solidarisches Miteinander einnehmen?” Oder “Meine, deine, unsere Erinnerungen” ins Jenfeld Haus dazu. Ich bin froh den Tag hinter mich gebracht zu haben, die Vorbereitungen waren intensiv. “Und wie fühlst du dich? Geschafft?” Fragen mich meine Kolleg*innen und Mitstreiter*innen. Gute Frage, denke ich. So ein Tag wie heute ist ja nicht wirklich ein Ende, eher ein Anfang. Eher ein: Los, raus und in den Dialog treten. Netzwerke schaffen und sich im Stadtteil verbündete suchen. Geschafft bin ich trotzdem, aber eben auch ertappt, wieder zu wenig zu wissen und bestärkt weiterzumachen, um meine Wissenslücken zu füllen. Das letzte Wort in diesem Beitrag möchte ich daher unserer Gästin Flower Manase geben: “The Park should not devide the Commuities but rather bring the communites together. Not only in Tanzania but also here in Hamburg. We as Tanzanians cherish unity without the element of racism”.
Text von Lena Koch (Projektleitung Tansania Park* in Jenfeld, Salon International e.V.)